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Ein gigantischer unterirdischer Weinkeller ist die große Attraktion der kleinen Republik Moldau.
Staatsgäste bekommen hier ein eigenes Depot für ihre Flaschen.
In den Kellern von Cricova sollen mehr als eine Million Flaschen lagern, darunter einige Raritäten.
Das höchste Gut des Landes liegt tief unter der Erde.
In einem verzweigten Straßensystem im Untergrund reihen sich mächtige Eichenfässer aneinander.
Eine alte Mine für Kalkstein dient heute als gewaltiger Weinkeller, an manchen Stellen bis zu 80 Meter tief.
Hier reift & lagert – bei konstant knapp zehn Grad & hoher Luftfeuchtigkeit – der Wein optimal.
Die 120 Km langen Tunnel liegen nicht unter einem Winzerdorf am Rhein, nicht unter einem Moselhang, nicht im Burgund oder der Toskana.
Das Stollensystem befindet sich an einem Ort, bei dem man in Westeuropa nun nicht zuvorderst an Wein denkt: in der Republik Moldau.
Das Land an der EU-Außengrenze zu Rumänien ist für viele ein weißer Fleck, nicht nur auf der Wein-, sondern ebenso auf der Landkarte.
Dabei ist Wein der große Stolz des kleinen Landes. Schon zu Zeiten der UdSSR galt die Republik, damals besser bekannt unter dem Namen Moldawien, als Garten der Sowjetunion. In der fruchtbaren Schwarzerde & bei mildem Klima gedeiht hier Wein besonders gut.
Die Planwirtschaft machte die 2.- kleinste Republik zum größten Weinproduzenten der UdSSR. Jede zweite Flasche der Sowjetunion kam von hier. Heute ist der Rebsaft eines der stärksten Exportprodukte im wirtschaftsschwachen Land. Und der Weinbau taugt noch heute für Superlative.
So lagert im Weinkeller von Milestii Mici die größte Anzahl an Weinflaschen der Welt – das ist sogar im Guinness-Buch der Rekorde belegt:
Mehr als 1,5 Millionen Flaschen liegen in den Gewölben. Der größte Keller Europas wiederum gehört, zumindest nach eigenen Angaben, dem Weingut Cricova in der gleichnamigen Ortschaft. Auch in deren Stollen soll es eine der weltgrößten Weinsammlungen mit angeblich 1,25 Millionen Flaschen geben, darunter Exklusives für Prominente – sogar die deutsche Kanzlerin kann jederzeit auf die guten Tropfen zugreifen.
Aber dazu gleich mehr. Der staatliche Weinbetrieb, gegründet 1952, ist bekannt für sein Stollensystem in der alten Kalksteingrube, deren Ausbeutung schon im 15. Jahrhundert begonnen haben soll. Es liegt unter dem Winzerstädtchen Cricova mit knapp 14.000 Einwohnern unweit
der Hauptstadt Chisinau. Das unterirdische Labyrinth befahren Besucher mit einem kleinen Minibus. Anders ist die Fortbewegung kaum möglich.
Große Eichenfässer lagern unter der Erde. Busse & Autos befahren die Straßen im Untergrund.
Und ohne die Hilfe von Fremdenführerinnen wie Tatjana, einer jungen Frau mit dunklen Haaren, wären Besucher schnell verloren.
Cricova sei eine „echte unterirdische Stadt mit Straßen & Boulevards“, sagt sie.
Die tragen die Namen bekannter Rebsorten und Anbaugebiete wie Pinot, Chardonnay oder Sauvignon.
Die unterirdischen Straßen führen zu den Probierstuben, die bereits einige Prominenz gesehen haben. Juri Gagarin zum Beispiel, der Kosmonaut, soll einer der ersten Gäste gewesen sein. Seinen Vorstoß ins All begoss er später bei einem Rückzug unter die Erde. Zwei Tage, so ist es überliefert, soll die Sause gedauert haben. Weil kein Tageslicht das Kellergewölbe erreicht, lässt sich schon mal die Zeit vergessen, lautet zumindest Tatjanas Version. Gagarin soll sich, erzählt sie, gar im Labyrinth verirrt haben. Aber wer weiß das schon mit Sicherheit. Die Fremdenführerin hat gleich noch eine Anekdote parat: Gagarin habe am Ende seiner Feier erklärt, die Reise ins All sei einfacher gewesen, als den Keller nach zwei Tagen wieder zu verlassen.
Tatsächlich aber hängt ein gerahmter, handschriftlicher Dankesbrief des Kosmonauten an der Wand. Gagarin lobt die „große Menge guten Weins“ und dankt allen Arbeitern der Kelterei. Nicht weit von seinem Schreiben gibt es eine Fotogalerie, die weitere Besucher zeigt, die hier degustierten. Die sowjetischen Regierungschefs Nikita Chruschtschow und Michail Gorbatschow sind darunter.
Viele der Politiker, Sportler und Künstler sind eher auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion bekannt. Auch der ehemalige Fifa-Chef Sepp Blatter war hier, genauso José Manuel Barroso, als der noch Chef der EU-Kommission war. Zu den bekannten Gästen zählt auch Wladimir Putin. Russlands Präsident stieß 50 Meter unter der Erde auf seinen 50. Geburtstag an.
Staatsgästen wird seit einigen Jahren bei Besuchen ein kleines Depot im riesigen Weinkeller eingerichtet. So kam zum Beispiel John Kerry, der ehemalige US-Außenminister, zu einer kleinen Privatsammlung, ebenso wie Donald Tusk als polnischer Ministerpräsident.
Sogar Angela Merkel hat hier eine kleine Weinsammlung. Die Kanzlerin reiste im August 2012 nach Moldau. Es war der erste Besuch eines deutschen Regierungschefs in der Republik überhaupt. Das Protokoll sah damals den Besuch in Cricova vor. Seitdem lagern im Casa Nummer 283 einige Dutzend Flaschen Sammlerwein, ein kleines Hinweisschild weist Merkel als Besitzerin aus, daneben ein Deutschland-Fähnchen.
Einige Flaschen haben bereits Staub angesetzt. „Bislang wurde keine Flasche entnommen”, antwortet eine Regierungssprecherin auf Tagesspiegel-Anfrage. Die Flaschen offizieller Gäste würden „üblicherweise bis auf Weiteres in den Weinkellern verwahrt“.
Staub hat schon manch andere Flasche angesetzt, mitunter sogar Schimmelpilz. Denn einige Tropfen der unverkäuflichen nationalen Kollektion mit Rebsorten aus den besten Lagen sind Jahrzehnte alt, darunter ein Teil des Besitzes von Hermann Göring, den die Rote Armee als Reparation ins Land brachte.
In den Kellern von Cricova liegt darüber hinaus die angeblich weltweit letzte Flasche Mogit Davids Osterwein, ein süßer Rotwein aus Jerusalemer Trauben, Jahrgang 1902. Der gilt als Perle der Sammlung in der unterirdischen Stadt des Weins.